Am 08. November 2024 brachte Landtagsabgeordnete Doris Schröder-Köpf für die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen den Entschließungsantrag "mit mehr Entschiedenheit: im Kampf gegen häusliche Gewalt" ein. In ihrer Rede betonte sie die Wichtigkeit und die Notwendigkeit, weitere Instrumente im Kampf gegen Femizide und häusliche Gewalt zum Schutz von Frauen hinzuzufügen.

Rede vom 08. November 2024

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.

In der vergangenen Woche habe ich in der Braunschweiger Zeitung einen Bericht gelesen, der mich sehr berührt hat. Schüler der Johannes-Selenka-Schule in Braunschweig, Fachbereich Holztechnik, haben 155 Holzkreuze angefertigt, von denen jedes an einen im Jahr 2023 begangenen Femizid erinnern soll.

Das ist eine Initiative des Städtischen Arbeitskreises gegen Gewalt gegen Frauen. Am 25. November werden die Kreuze als Mahnmale auf dem Braunschweiger Schlossplatz errichtet und sollen Passanten an die Frauen erinnern, die durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners getötet wurden, für jede tote Frau ein Kreuz.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieser Bericht hat mich nicht nur berührt, sondern auch beschämt. Ich bin seit 2013 Abgeordnete des Niedersächsischen Landtags, zweimal direkt gewählt und auch unterstützt von vielen, vielen Frauen. Und ich habe mich gefragt, habe ich mir genug Gedanken über das Thema Femizide gemacht? Habe ich genug getan? Haben wir hier den Frauen, den Müttern, den Töchtern auch nur annähernd so viel Aufmerksamkeit gewidmet wie, sagen wir mal, dem Wolf? Sie kennen die Antwort.

Sie alle kennen die Antwort und diese sollte uns motivieren, schnell und gemeinsam dem Schutz von Frauen vor Partnergewalt weitere erwiesen wirkungsvolle Instrumente hinzuzufügen. Ich bin unserer Innenministerin Daniela Behrens und unserer Justizministerin Kathrin Wahlmann sehr dankbar, dass sie auf den Innen- und Justizministerkonferenzen nicht nachlassen, die Gewalt im häuslichen Umfeld immer wieder herauszuholen aus dieser verschwiegenen dunklen Ecke der vorgeblichen Privatheit. Und ich bedanke mich bei Kollegin Evrim Camus für ihr Engagement hier in diesem Haus.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, unter häuslicher Gewalt versteht man natürlich nicht nur Gewalt gegen Frauen. Wir alle wissen aus den Polizeistatistiken, dass die Isolation in Corona-Zeiten offenbar zu einem sprunghaften Anstieg derselben geführt hat. Heute geht es jedoch um einen Fokus auf die Gewalt gegen Frauen durch männliche Partner oder Ex-Partner.

Und schon die Zahlen sind brutal. Ich zitiere das Bundesinnenministerium. Alle vier Minuten erlebt eine Frau Gewalt durch ihren Partner oder früheren Partner. 2023 wurden in Deutschland 155 Frauen Opfer von Gewalttaten mit tödlichem Ausgang verübt vom Partner oder Ex-Partner. Viele Delikte jenseits der Tötungen bleiben im Dunkeln. Jede vierte Frau in Deutschland erleidet in ihrem Leben mindestens einmal körperliche und oder sexualisierte Gewalt.

Jeden Tag versucht ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu ermorden, wie zum Beispiel am 22. August 2023 in Hannover-Wettbergen. Da hat ein Mann versucht, seine Ex-Frau zu töten, hat sie niedergestochen. Die Gerichtsverhandlungen dazu haben gerade begonnen. Wie gesagt, manche versuchen es jeden Tag und an jedem dritten Tag gelingt es einem Mann.

Wie am Sonntag in Berlin. Franziska W. wird zusammen mit ihren fünf und sechs Jahre alten Töchtern vom Ex-Partner getötet. Wie am Dienstag in Dortmund. Eine Frau wird vom Ex-Partner getötet, vor den Augen der drei gemeinsamen Kinder. Laut Westdeutscher Allgemeiner Zeitung hatte die Frau ein Annäherungsverbot wegen häuslicher Gewalt erwirkt und war gerade erst über 30 Jahre alt und in eine eigene Wohnung gezogen. Wie gesagt, an jedem dritten Tag gelingt es einem Mann.

Lassen Sie uns auf Niedersachsen blicken. Die Polizei in unserem Bundesland hat 2023 insgesamt 29.875 Fälle häuslicher Gewalt registriert und damit eine Zunahme um rund 11% gegenüber dem Vorjahr. 82 Tötungsdelikte im Kontext häuslicher Gewalt. Davon auch viele Femizide.

Gegen diese Gewalt und diesen Terror können die betroffenen Frauen natürlich vorgehen, auch gerichtlich. Aber es bedarf weiterer Instrumente, um Frauen in und aus gefährlichen Beziehungen zu helfen. Der Verein Gewaltfrei in die Zukunft zum Beispiel hat eine App entwickelt, die quasi hinter einer anderen App verborgen und damit der Kontrolle des gewalttätigen Partners entzogen nicht nur Informationen über Hilfsmöglichkeiten gibt, sondern auch eine Art Gewalttagebuch anbietet. Es ermöglicht Betroffenen beispielsweise Fotos von Verletzungen oder Zerstörungen hochzuladen und zu dokumentieren. In Berlin und in Niedersachsen hat die Erprobungsphase begonnen, im November 2022 in der Polizeidirektion Hannover, im September diesen Jahres im Bereich der Polizeidirektion Braunschweig und der Polizeidirektion Oldenburg – bislang noch mit einer kleinen Zahl von Nutzerinnen. Die App wurde bislang 1179 mal heruntergeladen. Es ist wichtig, dass doch sehr viel mehr Frauen von dieser Möglichkeit erfahren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Betroffene wenden sich, wie gesagt, in ihrer Angst und Verzweiflung an die Polizei, erwirken vor Gericht Kontakt- und Annäherungsverbote. Das Gewaltschutzgesetz gibt dem Opfer nach § 1 die Möglichkeit, eine gerichtliche Schutzanordnung zu beantragen. In der Schutzanordnung trifft ein Amts- oder Familiengericht die Maßnahmen, die verhindern sollen, dass es zu weiteren Verletzungen oder Bedrohungen kommt.

Doch viele Gewalttäter lassen in ihrer Raserei nicht von dem Opfer ab, so am Dienstag in Dortmund. Wie also kann der Schutz der Frauen in dieser Situation verbessert, vielleicht sogar ein Mord verhindert, werden? Spanien setzt bei der Überwachung von Kontakt- und Annäherungsverboten seit 2009, und ich habe mir da auch noch ein Ausrufezeichen dahinter gemacht, auf den Einsatz von elektronischen Fußfesseln via GPS-Technologie. Wir kennen diese Technologie im Rahmen der sogenannten Führungsaufsicht seit 2011 und seit 2017 für terroristische oder islamistische Gefährder.

Laut der spanischen Tageszeitung El País ist die elektronische Aufenthaltsüberwachung, ich zitiere, zu 100% erfolgreich. Keine Spanierin, die im Rahmen dieser Maßnahmen Schutz erfuhr, wurde getötet. Frankreich setzt seit 2020 auf die Fußfessel im Bereich häuslicher Gewalt. Analog zum spanischen Modell werden auch in Frankreich Frauen elektronisch gewarnt. Im Kanton Zürich läuft seit einem Jahr ein Pilotversuch. In Bayern gab es seit 2018 nach Angaben der Opferschutzorganisation Weißer Ring bereits mehr als zwei Dutzend Beschlüsse zur Durchführung einer präventiv-polizeilichen, elektronischen Aufenthaltsüberwachung.

Die zuständigen bayerischen Behörden, auch der bayerische Innenminister, werten die bisherige Erfahrung mit der Fußfessel, als ich zitiere, durchgängig positiv. Der hessische Justizminister Christian Heinz, CDU, nennt die Fußfessel, wie ich finde, sehr zutreffend, eine elektronische Schutzzone. Am 24. September hat Heinz in der hessischen Kleinstadt Weiterstadt, wo sich in einem Hochsicherheitstrakt der dortigen Justizvollzugsanstalt die gemeinsame Überwachungsstelle aller Bundesländer, GÜL abgekürzt, befindet, ein neues Modell der Fußfessel vorgestellt. Es ist etwa halb so groß wie eine Zigarettenschachtel, wiegt etwa 150 Gramm, ist wasserdicht und stoßfest. Der Täter trägt eine Fußfessel, die mit einer GPS-Einheit kommunizieren kann, die das Opfer bei sich trägt.

Ein Alarm wird ausgelöst, wenn der Aggressor sich dem Opfer entweder absichtlich oder unabsichtlich zu nahe kommt. Wichtig, es wird nicht eine vorgegebene Verbotszone definiert, z.B. rund um die Wohnung ein bestimmter Bereich überwacht, sondern eine Art Schutzschirm, um das sich bewegende Opfer gebildet. Ein rechtzeitiger Hinweis, dass sich der Aggressor nähert, kann einer Frau zum lebensrettenden Vorsprung verhelfen.

Sehr geehrte Damen und Herren, natürlich würden wir uns wünschen, dass diese Schutzlücke in einem Bundesgesetz geschlossen wird. Falls Berlin nicht handelt oder nicht mehr handeln kann, wer weiß, wollen wir die elektronische Fußfessel im Rahmen häuslicher Gewalt notfalls im niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz verankern, und zwar bald.

Wenn am 25.November, am Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, die Schülerinnen und Schüler der Johannes-Selenka-Schule auf dem Braunschweiger Schlossplatz ihre selbst gefertigten Holzkreuze aufstellen, mit Grablichtern, Blumen und Todesanzeigen versehen, sollten wir diesen jungen Menschen und allen Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land sagen können: Wir hier im Parlament, wir werden alle Möglichkeiten nutzen, um künftig Frauen besser zu schützen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dafür bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung.

Herzlichen Dank.